Soo ich hab gerade meinen zweiten Rundbrief zuende bekommen und weil das grade so gut passt füge ich den noch in den Blog ein. Vielleicht gefällt er euch ja viel Spaß ;)
Zweiter
Rundbrief von Roman Lay Februar
2014
Das
Land der Gegensätze
Das zweite
Mal melde ich mich jetzt aus Israel. Weihnachten ist vorbei und auch 2013 ist
Geschichte. Jetzt ist schon fast ein halbes Jahr rum, seit dem ich in Tel Aviv
gelandet bin. Seit dem ersten Rundbrief ist wieder einiges passiert. Da dieser
Bericht besonders die Themen Kultur, Politik; Religion sowie Unterschiede und
Gemeinsamkeiten Israels zu Deutschland beinhalten soll, werde bevorzugt
Erlebnisse schildern, die diese Themen verdeutlichen. Dies werde ich anhand von
Orten berichten, an denen ich bereits gewesen bin und die einen bleibenden
Eindruck hinterlassen haben.
Ich muss
ehrlich gesagt zugeben ich hatte ich mich im Vorfeld zwar über das Land, die
Kultur und den Konflikt informiert. Die Erfahrungen zeigen allerdings immer,
dass in der Realität dann doch alles anders auf einen wirkt, als man zuvor
dachte und dass man es sich doch anders vorgestellt hat.
Dadurch das
Israel gerade einmal so groß ist wie Hessen hab ich nun nach fast 6 Monaten
einen Großteil des Landes gesehen. Es gibt sehr viele interessante Städte sowie
unzählige Nationalparks. Von Waldwanderwegen bis Wüstentouren gibt es fast
alles, denn die klimatischen Unterschiede sind sehr groß hier. Vom Mittelmeer
Klima im Norden über das Steppenklima im mittleren Teil bis zum Wüstenklima im
Süden des Landes. Allerdings fühlt sich das Wetter hier im Norden wüstenhaft
an. Es hat hier viel zu wenig geregnet, wie die Israelis immer beklagen. Es
könnte also auch hier ein noch wärmerer Sommer als ohnehin schon werden. Die lokalen Unterschiede in kultureller und religiöser
Hinsicht sind allerdings noch viel größer und natürlich interessanter. Ich mir
direkt angewöhnen mich bei Reisen auch dementsprechend anzupassen. Um ein Beispiel zu geben ist
Jerusalem, vor allem die Altstadt eine ganz andere Welt als Tel Aviv obwohl nur
40 Kilometer zwischen den beiden bedeutendsten Städten Israels liegen.
In Jerusalem leben viele orthodoxe Juden,
Muslime und religiöse Christen (darunter erstaunlich viele deutsche) und die
Religion steht im Mittelpunkt. Vor allem in der Altstadt, in der sich wichtige
religiöse Pilgerstätten aller drei Weltreligionen befinden (Klagemauer, Al-aqsa
Moschee und Grabeskirche) wird das sehr deutlich. Man merkt ebenfalls, dass die
Stadt sehr umkämpft ist. Es gibt viele religiöse Menschen, die keine Rücksicht
auf eine andere nehmen. Ein gutes Beispiel waren Christen, die im arabischen
Teil der Altstadt mit einem großen Kreuz auf dem Rücken an mir vorbei liefen
und Lieder sangen. Auch die ultraorthodoxen Juden, die oft anzutreffen sind,
sind bei den meisten Israelis nicht sonderlich beliebt. Ultraorthodoxe Juden
leben sehr abgeschottet. Sie haben eigene Schulen und Universitäten, an denen
aber die Thora im Mittelpunkt steht. Sie arbeiten nicht, sondern studieren die
Thora und Jugendliche gehen nicht zur Armee, was eigentlich Pflicht für alle
ist. Denn jeder Israeli muss eigentlich nach der Schule für 2-3 Jahre
Wehrdienst leisten (Männer 3 Jahre, Frauen 2 Jahre). In dieser alten Stadt leben also viele sehr
religiöse Menschen. Auch die israelische Gesellschaft ist zum Teil sehr
religiös. Vertreten durch die ultraorthodoxen Juden.
Tel Aviv
hingegen ist bekannt für den westlichen, toleranten Lebensstil. Sie wird auch
die toleranteste Stadt im Nahen Osten genannt, was nicht zuletzt mit der großen
Schwulenszene und vielen alternativen Ecken zu tun hat. Das Nachtleben in Tel
Aviv ist das Beste in Israel. Von Großraumdiskos bis kleine Pubs und
Undergroundclubs ist alles vertreten.
In Tel Aviv
aber auch in Haifa wird die Amerikanisierung sehr deutlich. Der amerikanische
Lebensstil wird von einigen vor allem jungen Israelis angestrebt. Sei es immer
mehr Malls zu bauen, McDonald’s Restaurants an Autobahnraststätten mitten in
der Wüste zu haben, oder immer über Facebook, Whatsapp etc. erreichbar zu sein
bzw. ständig zu schreiben. Tel Aviv wird gerne ‚the big Orange‘ genannt, was
auf den ‚big Apple‘ (New York) anspielt und somit als orientalisches New York
verstanden werden kann. In der Tat werden in Tel Aviv immer mehr Wolkenkratzer
gebaut. Mit einigen schmutzigen Ecken und den Plattenbausiedlungen hat es aber
eher was von einem orientalischen Berlin, wie ich finde.
Die
drittgrößte Stadt des Landes ist Haifa, welche von mir aus in 20-30 Minuten mit
dem Bus zu erreichen ist. Eine sehr schön gelegene Stadt, die durch den Industriehafen
aber wenig Zugang zum Meer hat. Bekannt ist Haifa für seine Universität, die
ich vor 2 Wochen mit einigen Volontären während eines Seminars besucht habe.
Das riesige Gelände des ,Technion‘ (technische Hochschule) bietet Platz für 13
000 Studenten und ist dementsprechend sehr imposant. Wir haben einen sehr
interessanten Vortrag eines Professors gehört, der auch die Erfindungen, die im
Technion gemacht wurden, beinhaltete. Zwei Nobelpreisträger haben in dieser
Einrichtung geforscht. Zudem gibt es einige recht simple Erfindungen, die aber
jeder kennt. (z. B. USB-Stick). Haifa steht zusätzlich für die IT-Branche. Es
gibt eine außergewöhnlich hohe Zahl von jungen Studenten, die eine Firma
gründen und diese später oft verkaufen. Für einen hohen Bildungsgrad spricht
auch, dass Israel mit fast 56% Akademikeranteil, an zweiter Stelle weltweit
steht. Israels Gesellschaft besteht also zu einem großen Teil aus gebildeten
Menschen und einer westlich orientierten Jugend.
Die nächst
gelegene, größere Stadt von mir aus gesehen ist aber nicht Haifa, sondern
Nazareth. Nazareth, welches man aus der Bibel kennt, ist heute fast zu 100
Prozent arabisch (muslimisch und christlich) besiedelt. Dort lebt die größte
Gemeinde arabischer Israelis. Die arabischen Israelis fühlen sich von den Juden
oft unfair behandelt, wie an Nazareth gut zu erkennen ist. Die Stadt könnte man
denken ist von Touristen (vor allem christlichen nur so Überlaufen). Ist sie
aber nicht. Nicht viele Hotels ein paar Gruppen aber nichts im Vergleich zu
Jerusalem oder Betlehem. Touristen kommen nur Tagsüber und werden von Bussen
wieder abgeholt. Die Stadt profitiert also wenig von den Touristen. Die
Bewohner sehen darin eine gezielte Schädigung. Auch das neu gebaute Nazareth
Illit (Illit = erhöht, besser) welches oberhalb von Nazareth erbaut wurde wird
kritisch betrachtet.
Durch die
Zuwanderungswelle russischer Juden in den neunziger Jahren, sollte Nazareth
Illit wachsen und Nazareth zahlenmäßig überholen, da man die Stadt als durchaus
gefährlich ansah. Geklappt hat es nicht, doch was geklappt hat ist, dass die
arabischen Juden, nicht nur in Nazareth sich oft benachteiligt fühlen, da sie zum
Beispiel einen anderen Pass haben. Ein klares Zeichen der Ausgrenzung finden
einige.
Ein
Besuch in Nazareth
Die Araber in
Palästina (palästinensischen Autonomiegebiete), sind zwar keine Israelis, haben
aber einen erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft. Ramallah, die Hauptstadt
der palästinensischen Autonomiebehörde habe ich bereits besucht. Der Weg
dorthin führt über ein paar unangenehmen
Stellen, wie zum Beispiel die Mauer, die Israel und Palästina an dem Großteil
der Grenze trennt. Da Ramallah allein der palästinensischen Autonomiebehörde
untergestellt ist gibt es darüber hinaus auch Warnschilder, dass der Zutritt
für Juden zu gefährlich sei und daher verboten ist. An solchen Stellen werden
die Spuren des Nahostkonflikts sehr deutlich. Ramallah ist allerdings sehr
offen für Touristen. Die Menschen sind sehr freundlich hilfsbereit. Seit kurzem
wird sehr stark um Touristen
Graffiti in Bethlehem als Protest
gegen die Kontrollen
geworben.
Zahlreiche Hostels haben eröffnet, zahlreiche Touren und Freizeitangebote, wie
ein türkisches Bad, werden angeboten. Die Abneigung gegen Israel vieler
Palästinenser ist aber nicht zu leugnen. Eine der schwierigsten Aufgaben war es
nicht hebräisch zu sprechen, denn das erachten viele als respektlos. In
Anbetracht der jüdischen Siedlungen, der Polizei- und Armeepräsens und der
Mauer als Trennlinie, kann man die Ansicht einiger Palästinenser durchaus
nachempfinden. Im Gegenzug dazu kann man auch die Sicherheitssorgen vieler
Israelis verstehen, die durch Anschläge in der Vergangenheit verursacht wurden.
Ich hab manchmal das Gefühl man kann nicht genau sagen, wer angefangen hat mit
den Provokationen und wer Recht hat und wer nicht steht für mich daher außer
Frage. Generell kann man sagen, dass viel Propaganda beider Seiten gemacht
wird.
Was mich also
am meisten beeindruckt hat in diesem kleinen Land, ist die Gesellschaft, die
gegensätzlicher nicht sein könnte. Dies liegt natürlich auch an der
Einwanderung. So gut wie Jeder hier hat, durch die Diaspora,
Migrationshintergründe. Es gibt viele iranische, russische, amerikanische,
äthiopische und argentinische Juden. Im Kfar (meiner Arbeitsstelle) haben wir
auch Member aus Südafrika, Kanada und Australien. Ich finde man kann daher
schwer von einer Leitkultur in Israel sprechen, weil die Kulturen mitgebracht
wurden und sich auch vermischt haben. Es ist immer alles regional abhängig. Da
das auf so kleinem Raum passiert, macht es Israel mit den verschiedenen
Kulturen so einzigartig. Und trotz des Konflikts und einiger Einschränkungen
zum Schutz der Sicherheit sind die Leute so freundlich (was ich aufgrund der
Vergangenheit und einiger bewegender Holocaustgeschichten, die ich hier gehört
habe, nicht für selbstverständlich gehalten halte) und leben vielleicht genau
deswegen in den Moment. Auch wenn sich die einzelnen Teile der Gesellschaft oft
nicht wirklich gut verstehen so wurde ich doch immer freundlich behandelt bzw.
aufgenommen. Ob jüdisch oder arabisch, jung oder alt. Ich merke, dass die Leute
meine Arbeit hier sehr schätzen, wirklich dankbar und wissen, dass es nicht
selbstverständlich ist. Das ist neben der politischen Lage, Klima und Religion einer
der größten Unterschiede zu Deutschland.
Ich hoffe ich
konnte meinen Blick auf die Kultur und Gesellschaft Israels halbwegs
verständlich vermitteln. Jetzt geht’s erst mal zum Zwischenseminar, denn genau
morgen bin ich 6 Monate in Israel und ich hoffe die nächsten 6 werden genauso
gut wie die ersten.
Also bis zum
nächsten Mal und lehitraot,
Euer Roman